Die im März 2015 für fünf Jahre neu gewählte 21. Hamburger Bürgerschaft bildet eine rot-grüne-Landesregierung. In dem Koalitionsvertrag zwischen den beiden Parteien wird dabei für die Schienenanbindung nach Lurup und den Osdorfer Born auf Seite 39 festgelegt:
Zusammengefasst für das Jahr 2015:
- Die Systemfrage für die Schienenanbindung von Lurup/Osdorfer Born ist geklärt: es wird eine U-Bahn.
- Die Planungen werden bis zum Ende der Legislaturperiode abgeschlossen sein, um dann nach der Wahl der 22. Bürgerschaft im März 2020 mit dem Bau beginnen zu können.
- Binnen 15 Jahren werden die wichtigsten Streckenabschnitte fertiggestellt sein.
- Es wird zudem beidseitig und parallel geplant, also sowohl im Osten in Bramfeld/Steilshoop, als auch im Westen in Lurup/Osdorfer Born.
Kurze Zeit später, also bereits im Sommer 2015, berichtet der Senat in einer Senatsmitteilung Drucksache 21/1736 an die Bürgerschaft über den Fortgang seiner Hamburger Schnellbahnplanungen. Unter Ziffer 2.4. ist zu erkennen, dass sich für die Anbindung Lurups und des Osdorfer Borns gegenüber den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag gravierende Änderungen ergeben haben. Während die U5-Planungen im Osten schon mit der Beauftragung einer Machbarkeitsstudie weit fortgeschritten sind, wird für den Westen, im Gegensatz zu den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages, völlig überraschend erneut die Systemfrage gestellt, d.h. soll der Schienenanschluss des Westens über eine U-Bahn oder eine S-Bahn erfolgen?
Statt einer Machbarkeitsstudie für den Westteil wird nun wieder ein Vergleich von Konzeptstudien in Aussicht gestellt. Das bedeutet, dass erneut ein System- und Variantenvergleich stattfinden soll.
Über die in der Senatsmitteilung angeführte Konzeptstudie der S-Bahn-Hamburg aus dem Sommer 2015 ist nur wenig bekannt. Das Hamburger Abendblatt berichtet dazu am 07.08.2015 „S-Bahn plant Alternative zur U5 durch Hamburgs Westen“, dass die S-Bahn Hamburg ein 16-Seiten dünnes Konzept vorgelegt hat, dass nun seitens der Behörden bis Anfang 2016 geprüft werden soll. Diese 16 Seiten wurden nicht öffentlich zugänglich bereitgestellt. Aus der im Abendblatt beigefügten Karte ist zu erkennen, dass es zwei Varianten geben soll: eine Nordvariante, die in Stellingen aus dem bestehenden S-Bahn-Netz ausfädeln soll und eine Variante Altona West, deren Abzweigung in Bahrenfeld erfolgen soll.
Die Vorgehensweise der S-Bahn-Hamburg erinnert an das Vorgehen der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1963, die dort quasi in der letzten Minute in die damals vom Senat geplanten U-Bahn-Anbindung Lurups gegrätscht ist. Lesen Sie selbst aus dem Abendblatt-Archiv vom 12.07.1963, dem die Graphik für das Titelbild entnommen wurde.
Aus Anfang 2016 ist dann Anfang 2017 geworden. Das Abendblatt macht am 13.01.2017 mit dem Artikel „Neue U5 in Hamburg: Rot-Grün macht Tempo“ auf und erklärt, dass der Verkehrsausschuss der Bürgerschaft über einen Bürgerschaftsantrag aus den Ergebnissen des Varianten- und Systemvergleiches von den „bislang sieben untersuchten Varianten maximal drei auszuwählen“ habe, damit „für diese noch bis zum Sommer eine Machbarkeitsstudie in Auftrag“ gegeben werden könne. „Bis Mitte 2018 solle diese Machbarkeitsstudie vorliegen und die Grundlage für die Entscheidung bilden.“ Den entsprechenden Bürgerschaftsantrag Drucksache 21/7570 vom 17.01.2017 finden sie -> hier. In der Beratung im Verkehrsausschuss präferiert der Senat folgende zwei Trassenvarianten aus den sieben möglichen Varianten:
- Die eine Variante sei eine Verlängerung der U5 von Lokstedt über Stellingen um die
Arenen herum nach Lurup und zum Osdorfer Born, die sogenannte U5 Nord, die bedingt durch eine tangentiale Streckenführung hohe verkehrliche Effekte habe und unter den gegebenen Umständen die absehbar beste wirtschaftliche Perspektive biete. - Darüber hinaus sei entschieden worden, dass ausgehend vom Bestandnetz, die Variante S32 Süd, die unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine große Bedeutung habe, obgleich sie mit einem vergleichsweise hohen Infrastrukturaufwand belegt sei, näher untersucht werden solle. Die S32 Süd Trasse führt von Diebsteich über Bahrenfeld-Trabrennbahn und Lurup bis Osdorfer Born.
Die beiden Varianten sollen jetzt planerisch vertieft werden.
Den vollständigen Bericht des Verkehrsausschusses aus den Beratungen Drucksache 21/8959 vom 03.05.2017.ab Seite 9, finden Sie -> hier. Erwähnenswert ist, dass noch im Antrag explizit die Anbindung Schenefelds in die Beratung eingebunden werden soll. Im Verkehrsausschuss führen die Senatsvertreter in Sachen Schnellbahnanbindung Schenefeld aber dann aus, dass „Hamburg bezweifelt …, dass in diesem Bereich eine S- oder U-Bahnwürdigkeit vorliege,…“
Aus Mitte 2018 wurde dann Mitte 2019. Zuvor wurde in der Bürgerschaft noch im Dezember 2017 eine Große Anfrage Drucksache 21/10889 „Schnellbahnanbindung des Hamburger Westens – nur Gerede und Wortbruch?„ gestellt und vom Senat mit keinen neuen Inhalten und Erkenntnissen beantwortet.
Die Hamburger Hochbahn legt am 08.07.2019 noch in der 21. Legislaturperiode ihre System- und Vergleichsstudie sogar als Machbarkeitsstudie „Erweiterung des Schnellbahnnetzes im Hamburger Westen U5/S32″vor. In der neuen Studie sind zahlreiche Überraschungen verpackt. Die S-Bahn liegt mit einem Mal überraschenderweise vor der U-Bahn. Und das mit einer völlig neuen Trassenvariante, namentlich der Ausfädelung beim Bahnhof Holstenstraße und einer Trassenführung größtenteils unterhalb der „StreBaLu“. Sechs neue Stationen soll es geben. Die U5 soll nur bis zu den Arenen gebaut werden.
Wir erfahren von der planenden Hochbahn: „Im Westen gibt’s Neues: Mit der jetzt vorliegenden Machbarkeitsuntersuchung werden zwei Varianten empfohlen, wie der Hamburger Westen an das Schnellbahnnetz angeschlossen werden kann: eine S- und eine U-Bahn-Lösung. Beide System- und Streckenlösungen erzielten hinsichtlich ihrer technischen, betrieblichen, verkehrlichen und wirtschaftlichen Machbarkeit vergleichbare Ergebnisse. Doch die Zeichen stehen auf S-Bahn-Variante.“ Seit Dezember 2019 ist die Machbarkeitsstudie, leider in Spionagequalität, im Hamburger Transparenzportal abrufbar.
Das Hamburger Abendblatt berichtet gleichtägig in einem Artikel und veröffentlicht am Folgetag ein Versprechen des Hamburger Bürgermeisters: „Auf die Abendblatt-Frage, ob die Menschen in Osdorf und Lurup – anders als früher – diesmal auf das Versprechen eines Bahnanschlusses vertrauen könnten und er ihnen sein Wort gebe, sagte Bürgermeister Tschentscher: „Ja sicher, für meine Person und für diesen Senat, für diese Mehrheiten, die wir derzeit haben, ist das ein festes Versprechen.“
In einer Senatsmitteilung vom 05.11.2019, Drucksache 21/18875, berichtet der Senat, wie die Planungen weitergehen sollen. So ist unter 6. Weiteres Vorgehen zu lesen: „S32 bis Osdorfer Born: In diesen weiteren Planungsprozessen werden neben der eigentlichen Trassenplanung u.a. die Belange des DESY sowie der Forschungsinstitute der Universität Hamburg hinsichtlich Erschütterungsemissionen und elektromagnetischer Beeinflussung im Bereich der Luruper Chaussee/Luruper Hauptstraße vertieft betrachtet (S32). Dies gilt ebenso für die Trassenführungen durch das geplante Wasserschutzgebiet Stellingen-Süd (U5) und das Landschaftsschutzgebiet Osdorf sowie im Einflussbereich des Flaßbargmoores (S32). Zudem ist durch das erwartbare Fahrgastmehraufkommen an der S-Bahn-Station Holstenstraße die Notwendigkeit eines 2. Zugangs zum Bahnsteig zu prüfen. Auch die laufenden Planungen und Erörterungen rund um die Fragestellungen zum Fern- und Regionalbahnhof Hamburg-Altona sind bei den S32- Planungen im Hinblick auf Auswirkungen und Wechselwirkungen zu berücksichtigen.„
Fast genau ein Jahr später am 12.11.2020 stellt der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums Enak Ferlemann anlässlich eines Hamburg-Besuches die ersten Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie für den sogenannten Verbindungsbahn-Entlastungtunnel (VET) vor, die erste erhebliche Zweifel an einer kurzfristigen Realisierung der S32 in den Hamburger Westen aufkommen lassen und im Juni 2021 das Erschütterungsgutachten am DESY-Campus. Zu beiden Themen in Kürze mehr.
Axel Godenrath